Das Herz wird nicht dement

Der dritte «DenkAnstoss», eine Co-Produktion der Reformierten Kirchgemeinde Reinach-Leimbach und des Kinoclubs, widmete sich letzten Samstag den Themenbereichen Demenz und Angehörigenpflege. Im gut besuchten TaB* Atelierkino sorgte die Erstaufführung des Dokumentarfilms «Mutters Atelier» für berührende Momente, vertiefte Einblicke und für ein angeregtes Podiumsgespräch unter der Leitung von Pfarrerin Maja Petrus. Zu Gast waren die Filmemacher Silvana Mariani (Regie), Hans Jörg Hüeblin (Kamera) und Thomas Gautschi (Leiter Pflege, Pflegezentrum und Spitex Sonnenberg, Reinach).

Die Zerbrechlichkeit des Lebens im Film zu sehen, ist nicht einfach. Doch das Alltagsleben des bildenden Künstlers Ricardo Ramos und seiner an Alzheimer erkrankten Mutter Zilda hat mit seinen Bildern eine besondere Stimmung inne. Mit Herzenswärme pflegt und fördert der Zweitjüngste von sieben Kindern seine Mama in Brasilien. Eine innige Verbundenheit, die ihresgleichen sucht. Seine melancholische Art hat in der kindlichen Fröhlichkeit seiner Mutter ein Gegenstück gefunden. Es wird viel gelacht, getanzt, gestaunt und nach Erinnerungen gesucht. Der mütterliche Satz «Ich weiss nicht» prägt das Zusammenleben in der gemeinsamen Wohnung. Und doch findet Ricardo den inneren Raum, um seine künstlerische Arbeit fortzusetzen. Dabei bedient er sich den Beipackzetteln und Blisterpackungen der zahlreichen Medikamente seiner Mutter für seine moderne Kunst. Als wenn er darauf malend und gestaltend schwere Momente verarbeiten kann. Aber so seine Mutter in den kreativen und lyrischen Alltag einbezieht. Dabei läuft sie mal mit einer Krone durch die Wohnung, nestelt in ihrem Modeschmuck und blickt auf ihre früheren Malereien, als wenn sie mit Leichtigkeit durchs Leben gehen könnte. So auch an ihrem 90. Geburtstag und der festlichen Teilnahme an der Ausstellung ihres Sohnes. Doch die Krankheit schreitet voran. Stille Momente werden häufiger und Ricardo muss sich immer mehr um seine Mutter sorgen.  

«Wie ist das nur möglich?», fragt sich Pflegeleiter Thomas Gautschi im anschliessenden Podiumsgespräch. – Dass man plötzlich in eine gegenseitige Abhängigkeit rund um die Uhr komme, bringe der Film nahe. Die Frage: «Würde ich das auch machen?», käme wohl bei vielen auf. Eine Frage, die sich in der Schweiz zunehmend immer mehr Angehörige stellen müssen. Pro Jahr erkranken um die 30’000 Menschen neu an Demenz. Zwei Drittel davon sind Frauen. 156’000 sind es insgesamt. Mit der höheren Lebenserwartung könnten es 2050 doppelt so viele sein. «Aber, wir haben oft verlernt, unsere Emotionen zu leben», wirft Pfarrerin Maja Petrus im Rückblick auf den Film ein. Und die brauche es besonders bei dementen Menschen. «Denn sie verlieren weder ihre Gefühle noch das Herz.» Doch neben einer Gedächtnisstörung und vielen weiteren Einschränkungen dürfen auch veränderte Verhaltensweisen nicht übersehen werden. Was, wenn sich Aggression und Lethargie breit machen? Dürfen Medikamente zur Beruhigung eingesetzt werden? Thomas Gautschi pflegt mit seinem Team in den zwei spezialisierten Demenzabteilungen mit 24 Bewohnenden ein pragmatisches Vorgehen: «Bei allen zu treffenden Massnahmen muss auch immer die Selbst – und Fremdgefährdung beachtet werden.»

«Doch, wann sollte man ins Heim eintreten?», fragt eine Podiumsteilnehmerin. «Wir erleben oft, dass ein an Demenz betroffener Mensch zu lange zuhause bleibt», erklärt Thomas Gautschi. Sicher spiele auch das Schamgefühl der Angehörigen, ihn wie abschieben zu müssen, eine grosse Rolle. Dabei zeigen sich bei Betreuenden oftmals körperliche und physische Symptome, die an Erschöpfung grenzen. Der Gang zur Hausarztpraxis ist frühzeitig angezeigt, um im Gespräch Wege zu finden. Dabei kann auch die gemeinnützige Organisation Alzheimer Schweiz helfen.        

«Doch wie stand es um das Einverständnis von Ricardos Mutter zum portugiesisch gesprochenen und deutsch untertitelten Film?», fragt die Podiumsleiterin die Filmemacher zum Schluss. «Wir haben uns mit Ricardo und der ganzen Familie abgesprochen», sagt Silvana Mariani, die selbst aus Brasilien stammt. «Es wurden von uns nur gute Momente festgehalten und Ricardo filmte selbst weitere Alltagsszenen. «Zilda freute sich riesig über unsere Arbeit, obwohl sie jeden Tag fragte, wer wir seien», fügt Kameramann Hans Jörg Hüeblin bei.»

Doch der Denkanstoss: «Wie gehen wir selbst mit an Demenz erkrankten Menschen um?», bleibt haften.  

René Fuchs